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Entwicklung und Validierung taktischer Netzwerkstrukturen im Badminton-Doppel im Bereich des Spitzensports

Ziel dieser Arbeit war es, den Versuch zu unternehmen, eine differenzierte taktische Struktur des Badmintondoppel zu finden, in der die Schläge in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu erkennen sind. Mithilfe dieser neuen Netzwerkstruktur sollten Damen- und Herrendoppel der Weltspitze auf Schlaghäufigkeiten untersucht werden, um dominante taktische Strukturen zu erkennen und daraus Rückschlüsse zu ziehen. Dies sollte auf der Grundlage der Aussagen in der nationalen und internationalen Badmintonliteratur zur Doppeltaktik erfolgen. Bei der Literaturrecherche wurde zu Beginn dieser Arbeit ein Mangel an Aussagen zu badmintonspezifischen taktischen Fragen festgestellt. In der internationalen Literatur wird dieser Fragenkomplex deutlich umfangreicher behandelt als in der nationalen Literatur. Nur zwei englische Fachbücher haben sich ausschließlich mit der Doppeltaktik beschäftigt, wobei das Buch von DOWNEY (1984) die Doppeltaktik sehr ausführlich beschreibt. Auch die bei der Literaturrecherche gefundenen Textquellen zur Analyse des Doppelspiels zeigten, dass eine differenzierte, verlaufsorientierte Analyse des Doppelspiels noch nicht vorgenommen worden ist. Bis auf Ergebnisse von KÜNSTLER (1987) gab es nur Ansätze der Analyse des Doppelspiels, die aber auf eine direkte Rückmeldung bei der Spielbetreuung abzielten. Bei der Einbettung der Doppeltaktik in ein badmintonspezifisches Anforderungsprofil wurde eine wenig genaue Einteilung bzw. Schwerpunktsetzung festgestellt. Technik und Kondition stehen bei den Anforderungsanalysen zumeist deutlich im Vordergrund, taktische Anforderungen bleiben ungenügend berücksichtigt. KLÖCKNER (1999) zeigte in der Rahmentrainingskonzeption eine ganzheitliche Betrachtungsweise der taktischen Situation, die von der gesamten Persönlickeit des Athleten gelöst werden muss. Die Auswahl der Inhalte, welche er für das Erlernen der Doppeltaktik im Kindes- und Jugendalter vorschlägt, wird jedoch nicht begründet. Bei der Festlegung der Vorbedingungen für die Erarbeitung einer taktischen Struktur, die in der Folge Netzwerkstruktur genannt wurde, um die enge Verflechtung der Schläge darzustellen, musste eine Reduktion der zu berücksichtigenden Schläge vorgenommen werden. Dieses schien sinnvoll, da die Literatur auch nur die Grundschläge berücksichtigt. Zudem bestätigt die Literatur, dass das Spiel prinzipiell aus einer eingeschränkten Zahl von Grundschlägen besteht und andere Formen Variationen sind, die die taktischen Situationen jedoch prinzipiell nicht verändern. Die Bearbeitung der Badminton Fachliteratur zeigte, dass sich die taktischen Strukturen in den letzten 50 Jahren offensichtlich nicht grundlegend geändert haben, und die Taktik bei den Damen und den Herren strukturell die gleiche ist. Bei der Erarbeitung der Netzwerkstruktur wurde festgestellt, dass längere Schlagfolgen in der Literatur kaum beschrieben werden. In den meisten Fällen nennen die Autoren nur einen Schlag mit den sinnvollen Rückschlägen. Diese Vorgehensweise trifft für alle Spielsituationen zu, wobei die Hinweise im neutralen Bereich noch geringer sind als in den übrigen Spielsituationen. Unter Verwendung der vorliegenden Literatur wurden die verschiedenen Schläge den taktischen Grundsituationen Aufschlag, Angriff/Verteidigung und neutraler Situation zugeordnet und jeweils mit dem vorherigen und folgenden Schlag zu einer Handlungskette bzw. Schlagfolge verbunden. Dies ergab mit den Trainererfahrungen des Verfassers ein Netzwerk der taktischen Grundsituationen. Diese Netzwerkstruktur wurde mit Hilfe von Videoaufnahmen von Damen- und Herrendoppeln der Weltspitze dahingehend untersucht, in welchen der taktischen Grundsituationen bestimmte Schlagfolgen gespielt werden, d.h. welcher Rückschlag auf welchen Schlag folgt. Zur Überprüfung der Validität der Ergebnisse wurde exemplarisch einer der untersuchten Wettkämpfe von zwei erfahrenen A-Trainern unabhängig voneinander mit Hilfe der Analysebögen untersucht, und die Ergebnisse wurden miteinander verglichen. Da die Spielsituationen nach den taktischen Anforderungen variieren und nicht reproduzierbar sind, wurde die von LAMES 1994 vorgeschlagene Überprüfung der Beobachterreliabilität bzw. -objektivität bezüglich der Klassifizierung der Schläge vorgenommen. Die Validität der Ergebnisse kann dabei nach LAMES angenommen werden. Die Klassifizierung der Schläge durch die beiden unabhängigen Beobachter zeigte in den taktischen Grundsituationen nur geringe Differenzen, so dass die Validität des Untersuchungsverfahrens gewährleistet erscheint. Bei einem Vergleich der Ergebnisse von Damen und Herren kann in der Aufschlagsituation und in der Angriffs- und Verteidigungssituation ein sehr ähnliches Profil festgestellt werden. Zwar spielten die Damen etwas häufiger einen Swip Aufschlag und griffen den kurzen Aufschlag nicht ganz so aggressiv an wie die Herren, jedoch waren die Schwerpunkte ähnlicher Natur. Sowohl bei der Wahl von Smash und Drop als auch bei den Abwehrvarianten waren nur geringe Unterschiede festzustellen. In der Angriffssituation und bei der Auswahl der Verteidigungsschläge waren die Unterschiede bei Damen und Herren nur minimal. Auch die neutrale Situation zeigt zwischen Damen und Herren wenig Unterschiede in der Wahl der Schlagarten. Die Damen spielen den Ball in dieser Situation geringfügig häufiger kurz hinter das Netz und leiten den Gegenangriff ein. Die Herren nutzen den dynamischen Drive etwas häufiger, um bei dem gegnerischen Doppel einen direkten Fehler zu erzwingen. Ansonsten ist das Profil der Schlagauswahl vergleichbar. Die Gesamtübersicht der gewählten Schläge zeigt ebenfalls nur sehr geringe Unterschiede in der Weltklasse bei Damen und Herren. Bei den meisten Schlägen sind sehr ähnliche Prozentsätze festzustellen. Die Behauptung, dass Damen den Ball deutlich häufiger hoch an die Grundlinie spielen, wird durch die Differenz von rund 5% eigentlich kaum unterstützt. Zusammenfassend kann man sagen, dass die gelegentlich von Trainern geäußerte Forderung nach einem geschlechtsspezifisch differenzierten Doppeltraining auf Grund unterschiedlicher Spielstrukturen durch die Ergebnisse dieser Arbeit nicht unterstützt werden kann. Charakteristische Schlagfolgen waren in der Aufschlagsituation und in der Angriffs- und Verteidigungssituation deutlicher zu erkennen. Die neutrale Situation war eher ein schneller Übergang in die Angriffs- bzw. Verteidigungsposition und somit waren typische Schlagfolgen in dieser Spielsituation nicht so klar zu erkennen, auch wenn Häufigkeiten bestimmter Schläge herausgestellt werden können. Mit Hilfe der drei Untersuchungsbögen der Netzwerkstruktur müsste in einem weiteren Schritt eine Untersuchung anderer Leistungs- und Altersklassen vorgenommen werden, so dass ein Vergleich möglich ist. Vor allem eine Untersuchung im Kinder- und Jugendbereich könnte Hinweise für ein perspektivisches Taktiktraining im Doppelspiel ergeben und als Grundlage für einen fundierten Rahmentrainingsplan für das Badmintondoppel dienen. Für den Verfasser selbst boten die Ergebnisse eine Vielzahl von Anregungen zur Verbesserung und Intensivierung des Trainings von Athleten im Leistungsbereich. Die Ergebnisse geben auch Hinweise für ein Erlernen der Doppeltaktik. Die Angriffs- und Verteidigungssituation in Verbindung mit dem kurzen Aufschlag stehen nach den Analyseergebnissen im Vordergrund und sollten unter erleichterten Bedingungen konsequent miteinander verknüpft werden. Denkbar wären leichte Schlagkombinationen mit einem kurzen Aufschlag, einem Netzdrop, einem Lob und einem Drop von der Grundlinie, wodurch die o.g. Spielsituationen entstehen. Interessant wäre es, in welchem Maße sich diese Netzwerkstruktur bei der Analyse des gemischten Doppelspiels verwenden ließe. Ein weiterer interessanter Ansatz wäre die Frage, ob sich mit Hilfe dieser Netzwerkstruktur Fehlerprofile oder Gewinnerschläge ableiten lassen. Auch wenn einige Fragen unbeantwortet blieben und neue Fragen aufgeworfen wurden, scheint die erarbeitete taktische Netzwerkstruktur eine Möglichkeit zu bieten, mehr Informationen über die Taktik im Doppelspiel zu erhalten und damit eine bessere Steuerung des Trainings im Leistungsbereich zu erreichen. Trainern ermöglichen die Ergebnisse ein besseres Verständnis der Zusammenhänge und Schwerpunkte des Doppelspiels, wie die Betonung des kurzen Aufschlags, die Dominanz des harten Smash und seine Beantwortung durch eine hohe Abwehr, wodurch die Effektivität des Trainings erhöht werden kann. Spieler und Spielerinnen können eine tiefere Einsicht in erfolgreiche doppeltaktische Verhaltensweisen gewinnen und dadurch ihr Spielverhalten positiver gestalten.
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Schlagworte: Badminton Mannschaft Technik Taktik Hochleistungssport Leistung Bewegungsgenauigkeit Variabilität Entwicklung
Notationen: Trainingswissenschaft Spielsportarten
Herausgeber: Fakultät für Sportwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum
Veröffentlicht: Bochum 2001
Seiten: 283
Dokumentenarten: Dissertation
Sprache: Deutsch
Level: hoch