2429

Zur Interaktionsproblematik im Riemenzweier der Sportart Rudern

Betrachtet man vom Ufer aus oder vor dem Fernseher einen Ruderwettkampf auf höchstem Leistungsniveau, gewinnt man schnell den (oberflächlichen) Eindruck, dass es sich in den Mannschaftsbooten um eine nahezu vollkommene Bewegungssynchronität handelt. Nimmt man sich dann aber technische Hilfsmittel wie Slow-Motion zu Hilfe und unterzieht die Bewegungen der einzelnen Ruderer einer genaueren Analyse, werden Unterschiede im Bewegungsvollzug deutlich. Dies ist in der Sportart, die in der Natur ausgeübt wird und bei der Faktoren wie Wind und Wellen auf die Interaktion Ruderer-Boot einwirken auch nicht verwunderlich. Hinzu kommt, dass auch die Ruderer selbst nicht über identische konditionelle, koordinative und anthropometrische Leistungsvoraussetzungen verfügen, sodass auch dadurch Unterschiede im Leistungsvollzug resultieren. Im Hochleistungsbereich wird aber das Ziel verfolgt, diese Unterschiede im Training und durch die Gestaltung des Ruderbootes auszuschalten bzw. zu minimieren. Dennoch gelingt es auch Hochleistungssportlern nicht (immer), die erwünschte Synchronität der Bewegungen herzustellen. Am Beispiel der Bootsklasse Zweier ohne Steuermann untersucht Stephan Fahrig die Interaktion der Crewmitglieder eines Kleinboots, um Erkenntnisse zu den inter- und intrakoordinativen Anforderungen zu gewinnen. Dazu entwickelt er eingangs eine Vorstellung von der Leistungsstruktur im Rudern und spezifiziert davon ausgehend für die von ihm untersuchte Bootsklasse Kriterien der Interaktion aus biomechanischer Sicht (um ein technisches Leit- bzw. Idealbild der Ruderbewegungen zu entwerfen). Für seine Untersuchungen verwendet er dann die Methode nichtlinearer Zeitreihenanalysen, um die dabei entstehende Komplexität erfassen zu können und unvorhergesehene, teilweise chaotische Ereignisse und Eigenschaften in die Bewertung einbeziehen zu können. Im Rahmen der Untersuchung wurden dann die individuellen Leistungsmerkmale der Ruderer (wie Dollenkraftverlaufslinien, zeitliche Synchronität, abgestimmte Zugdynamik, Gesamtleistung) ermittelt. Die Arbeit wurde so gestaltet, dass drei Problemfelder im Rahmen von 19 Zweier-Messfahrten untersucht werden konnten: 1. Ist die stabile Bewegungsausführung des Schlagmanns im Zweier ohne Steuermann tatsächlich die Leitgröße einer funktionierenden Interaktion der Mannschaft? 2. Was passiert bei Änderung der Schlagfrequenz mit den Interaktionsmustern? Gibt es instabile und stabile Phasen? Können individuelle Koordinationscharakteristiken entwickelt werden? 3. Führen unterschiedliche Belastungsstufen zu individuellen Koordinationscharakteristiken, die Relevanz für eine optimale Interaktion haben? Hat die Schlagfrequenz Auswirkungen darauf, welcher der beiden Ruderer des Boots mehr interagiert? Die Ergebnisse belegen das Vorhandensein unterschiedlicher Interaktionsstrategien. Es wurde aber auch ermittelt, dass es schlagfrequenzabhängig einzelne stabile Phasen der Bewegungskoordination der Ruderer gab. Interessant auch das Ergebnis, dass die Zuschreibung einer bestimmten (Leit)Funktion für die Bewegungsgestaltung zu einem der Ruderer (dem Schlagmann) durch biomechanische Parameter nur schwer möglich und deren Erfolg fraglich erscheint. Für die Sportpraxis ergeben sich aus der Untersuchung verschiedene Konsequenzen, zum Beispiel für die Ermittlung der Schlagfrequenzbereiche mit stabilen Koordinationsprofilen. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Gestaltung und Inhalte der sportartspezifischen Leistungsdiagnostik, um schrittweise über individuelle zu mannschaftsspezifischen Koordinationsprofilen gelangen zu können.
© Copyright 2010 Veröffentlicht von Sportverlag Strauß. Alle Rechte vorbehalten.

Schlagworte: Rudern Bewegung Qualität Technik Bewegungskoordination Messverfahren Untersuchungsmethode Bewegungsgenauigkeit Bewegungshandlung Bewegungsvorstellung Bewegungsmerkmal Bewegungsrhythmus
Notationen: Ausdauersportarten Trainingswissenschaft Naturwissenschaften und Technik
Veröffentlicht: Köln Sportverlag Strauß 2010
Ausgabe: Köln: Sportverlag Strauß, 2010.- 173 S.
Schriftenreihe: Schriftenreihe des Bundesinstituts für Sportwissenschaft, 2010, 03
Seiten: 173
Dokumentenarten: Buch
Sprache: Deutsch
Level: hoch