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The widespread laurels of Olympia

(Die weitverbreiteten Lorbeeren von Olympia)

Die Wettkämpfe der Olympischen Spiele 1996 in Atlanta zeigen neue geopolitische Tendenzen auf - der Sport reflektiert das neue, supermacht-lose Weltsystem. Mehr und mehr Länder erringen Medaillen, einige früher starke Nationen gehen leer aus. Die USA und Rußland führen einmal mehr den Medaillenspiegel der Wettkämpfe von Atlanta an. Aber heute kann weder in politischem noch in ideologischem Sinne sportlich noch von zwei getrennten Lagern gesprochen werden. Im Gegenteil: Die Analyse der Leistungen der letzten Olympischen Spiele passt nicht mehr in alte Klischees sondern reflektiert politische Entspannung. Diese Beruhigung vollzog sich auf zwei Wegen: Einerseits gibt es eine breitere Medaillenverteilung auf mehr Länder aus allen Teilen der Erde. Keine Nation stellt mehr eine (medaillenmäßig betrachtet) Übermacht dar. Damit relativiert sich auch die Bedeutung der von den Amerikanern praktizierten vollkommenen Privatisierung der Olympischen Spiele, denn: Die Leistungen der Amerikaner waren brilliant, aber keineswegs extraordinär. Im Vergleich zu ihrer Einwohnerzahl schnitten die USA in Atlanta beispielsweise schlechter ab als Deutschland, Frankreich und Italien zusammmen. Auch in Anbetracht des Reichtums der USA relativiert sich die Medaillenbilanz. Dies zeigt, dass es in Zukunft im Sport mehr Supermächte geben wird, auch wenn die "alten Supermächte" weiterhin bedeutenden Einfluss haben werden. Der Medaillenspiegel reflektiert das Weltbild. Aber tatsächlich illustriert er weltweite Tendenzen, deren generelle Wirkung durch spektakuläre Gegenbeispiele in die richtige Perspektive gerückt wird. Es lassen sich drei Trends aufzeigen: 1. Aus morphologischer Sicht: es werden immer die "großen" Länder bei Olympischen Spielen bevorteilt sein, oder genauer gesagt, die Länder, die es am besten verstehen, folgende drei Grundelemente des Erfolgs zu verbinden: - Vorhandensein eines großen menschlichen Potentials (viele potentielle Sportler); - eine lange und gut erhaltene Tradition im Sport sowie - eine Politik, die den Leistungssport als wichtigen sozialen Faktor betrachtet. (Beispiel hierfür: Rußland) In Atlanta lassen sich auch drei spektakuläre Gegenbeispiele für diese morphologische Regel antreffen: Großbritannien (nur eine Goldmedaille), Indien und Japan (nur Rang 23). Die ersten zwei Punkte der morphologischen Regel sind beispielsweise in Großbritannien erfüllt, jedoch fehlt hier vollkommen eine koordinierte Förderungspolitik des Leistungssports durch den Staat, was sich gravierend auf die internationale Konkurrenzfähigkeit auswirkt. Der sportpolitische Faktor kann so wie für Großbritannien für das bevölkerungsreiche, wirtschaftlich starke aber in Atlanta nur auf Platz 23 rangierende Japan nicht gelten; noch gravierender ist unter diesem Aspekt das Abschneiden Indiens (800 Mio. Einwohner) zu werten. 2. Eine zweite Dimension der aktuellen Tendenzen im Weltsport liegt in dem explosionsartigen Erfolg südlicher Länder in Sportarten, in denen vorher der Norden dominierte. Es kann von einer "Doppelexplosion" gesprochen werden, denn: In dem Maße wie südliche Länder im Medaillenspiegel auftauchen, verschlechtern sich traditionelle nördliche. Einige Sportarten sind von diesem Trend noch unberührt (z.B. Radsport, Kanu, Rudern, Reiten). Aber dieser Zustand ist möglicherweise lediglich eine Frage der Zeit. Atlanta zeigte z.B. das Vordringen von Nationen wie Kuba oder Brasilien in traditionelle euro-amerikanische Bastionen wie Schwimmen. Die Afrikaner etablierten sich im Sprint. Den Löwenanteil der Medaillen teilen sich die Vertreter der südlichen Länder in Sportarten und Disziplinen wie Mittel- und Langstreckenlauf, Boxen, Tischtennis oder Badminton. 3. Hier wird in der Analyse der Spiele von Atlanta eine dritte Tendenz deutlich, die die regionale Verteilung der Medaillen betrifft: Auch hier gibt es keine Unterschiede mehr zwischen einzelnen Regionen der Welt, sondern vielmehr große Unterschiede innerhalb der Regionen selbst. Zum Beispiel Asien: Schlechtes Abschneiden von Japan und Indien, mittelmäßige Ergebnisse von Taiwan, Thailand oder den Philippinen, nicht zu reden von Vietnam oder Pakistan. Herausragend schnitt Südkorea ab, das einen spektakulären Aufschwung demonstrierte. Das Abschneiden Lateinamerikas hätte als Desaster bezeichnet werden müssen, wenn es nicht die Leistungen der Kubaner und Brasilianer gegeben hätte. Beim Betrachten des erfolgreichen Abschneiden Afrikas darf nicht übersehen werden, dass es einen großen Kontrast zwischen den erfolgreichen englischsprachigen Ländern wie Kenia oder Nigeria einerseits und den französischsprachigen Ländern andererseits gibt, die fast völlig im Medaillenspiegel fehlen. Auch unter den Vertretern Europas, die insgesamt hervorragend abschnitten, gibt es Unterschiede, die nicht durch einen einzelnen Determinismus begründbar sind. Erfolge durch Deutschland, Frankreich, Italien, nicht zu reden von denen Polens und Ungarns, verdecken nicht die Einbrüche beispielsweise von Großbritannien oder Portugal oder die mittelmäßigen Ergebnisse der Skandinavier und Spanier. Die geopolitische Schlüssel-Lehre aus den Olympischen Spielen von Atlanta: In einer nach mehr Pluralismus strebenden Welt etabliert sich überall Diversität.
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Schlagworte: Olympische Spiele Sportpolitik Olympische Sommerspiele 1996 Leistung Tendenz Analyse Entwicklung
Notationen: Ausdauersportarten
Veröffentlicht in: American Swimming ASCA Newsletter
Veröffentlicht: Fort Lauderdale 1997
Heft: 11
Seiten: 5-6
Dokumentenarten: Artikel
Sprache: Englisch
Level: hoch
mittel