Moderne Parameter der Eisenstoffwechseldiagnostik im Ausdauersport

Ein vielfach beschriebenes Problem, insbesondere im Ausdauersport und speziell bei Sportlerinnen, ist die Entwicklung eines funktionellen Eisenmangels und nachfolgend eine Anämie. In zahlreichen Studien wurde bereits dokumentiert, dass sich der Eisenstatus von regelmäßig Sporttreibenden nachteilig verändern kann. Als Ursache wird überwiegend ein erhöhter, belastungsinduzierter Verlust von Eisen angegeben. Liegt ein Mangel an Eisen vor, kommt es primär zur Entleerung der Eisenspeicher und nachfolgend zum funktionellen Eisenmangel, einer verminderten Bildung von Hämoglobin und damit zu einer defizitären Erythropoese. Die daraus resultierende Reduktion der Sauerstofftransportkapazität und der funktionellen Sauerstoffkapazität der Zellen zeigt sich letztendlich in einer reduzierten Leistungsfähigkeit (Beard & Tobin, 2000; Wilkinson et al., 2002), wobei die Leistungsfähigkeit bereits vor Eintreten eines funktionellen Eisenmangels eingeschränkt sein kann. Für die Diagnostik steht dem klinischen Labor eine große Zahl an Parametern und Indizes zur Verfügung. Klassische Eisenstoffwechselparameter sind jedoch nur bedingt geeignet, den tatsächlichen Eisenstatus anzeigen, da sie durch sportliche Aktivität per se beeinflusst werden können (Röcker et al., 2002). Die Eisenkonzentration ist aufgrund einer ausgeprägten diurnalen Rhythmik ebenso wie Ferritin als Akute-Phase-Protein nur bedingt für eine suffiziente Eisendiagnostik geeignet. Die im klinischen Alltag gebräuchliche Bestimmung der Hämoglobin-Konzentration ist bei erniedrigten Werten für den Leistungssport aufgrund der damit längerfristig eingeschränkten Leistungsfähigkeit nicht akzeptabel. Somit kann konstatiert werden, dass die klassischen Eisenstoffwechsel- und Anämieparameter nur sehr eingeschränkt oder deutlich zu spät als diagnostische Parameter geeignet sind. In den letzten Jahren wurde zunehmend der lösliche Transferrinrezeptor (sTfR) als sensitiver und spezifischer Marker für den zellulären Eisenbedarf bei Sportlern verwendet (Malczewska et al., 2000; Schumacher et al., 2002). Dieser Parameter ist allerdings sehr analyse- und kostenaufwendig. Zudem sind die kommerziellen Assays derzeit oftmals nicht standardisiert. Mittels moderner Hämatologie-Analysegeräte ist es möglich, als direkten Parameter der Eisenversorgung des Knochenmarkes den Hämoglobingehalt der Retikulozyten (CHr) zu bestimmen (Thomas & Thomas, 2002a). Die durchflusszytometrische Lasermesstechnik mit nachfolgender Absorptionsmessung sowie Klein- und Großwinkel-Streulichtmessungen erlaubt durch die Messung an jeweils 20 - 50.000 Einzelzellen nicht nur die Bestimmung von Mittelwerten, sondern auch die Identifikation von Subpopulationen der Erythropoese. Diese neuen Parameter können im Rahmen einer Analyse des kleinen/großen Blutbildes einfach und wesentlich kostengünstiger mitbestimmt werden. Mit dem CHr soll eine differenziertere und aktuellere Eisenmangel- und Anämiediagnostik sowie auch Therapiebegleitung möglich sein. Der Parameter gilt als Maß für die Hämoglobinisation der Retikulozyten im Knochenmark und zeigt daher als Momentaufnahme die Eisenversorgung während der Erythropoese an. Er reagiert schnell sowie sensitiv auf bereits beginnende Eisenversorgungsdefizite im Knochenmark. Bei einem eintretenden funktionellen Eisenmangel beispielsweise nimmt der zuvor normale Hämoglobingehalt der Retikulozyten innerhalb von zwei Tagen ab. Dass der CHr auch nach einer extensiven Belastung wie einem Marathon stabil bleibt, wurde bereits in einer eigenen Pilotstudie bestätigt (Brechtel et al, 2003). Ziel dieser Studie war es deshalb, den Einfluss verschiedener Sportarten sowie Belastungsintensitäten und -umfänge auf den CHr zu untersuchen. Des Weiteren sollten sportspezifische Referenzbereiche für ausdauertrainierte Sportler ermittelt sowie abgeklärt werden, ob der CHr einen diagnostischen Zugewinn darstellt. 28 gesunde männliche Ausdauersportler (Radfahren, Schwimmen und Laufen; anthropometrische und trainingsanamnestische Daten siehe Tabelle 1) absolvierten jeweils folgende sportartspezifische Belastungen: a) regenerative Belastung: 50-70 % der IAS über 30 min b) extensive Belastung: 80 % der IAS über 60 min c) intensive Belastung: 110 % der IAS über max. 30 min Die individuellen Belastungsvorgaben wurden anhand der individuellen anaeroben Schwelle nach Stegmann/Kindermann (IAS; Stegmann et al., 1981) ermittelt. Die Blutentnahmen erfolgten im Liegen nach 15-minütiger Ruhephase jeweils unmittelbar vor (prä) sowie sofort, 1, 6 und 24 h nach Belastungsabbruch. Aus dem EDTA-Vollblut wurden neben dem großen Blutbild die retikulozytärenen Parameter (ADVIA®120, Bayer Health Care, Fernwald) sowie bei der Eingangsuntersuchung die Ferritin- sowie die sTfRKonzentration i. S. bestimmt. Zur Bestimmung von Referenzbereichen wurde der CHr bei 180 Ausdauersportlern (Lauf, Rad, Schwimmen, Triathlon, Eisschnelllauf) in Ruhe nach 15 min Liegen erfasst. Der Hämoglobingehalt der Retikulozyten (CHr) zeigte keine Veränderungen aufgrund von regenerativen, extensiven oder intensiven Ausdauerbelastungen. Geringfügige Änderungen innerhalb von 1 pg waren durch Plasmavolumenverschiebungen bedingt. Des Weiteren gab es keinen Einfluss verschiedener Ausdauersportarten (Rad, Lauf, Schwimmen) auf den Hämoglobingehalt der Retikulozyten. Einflüsse auf das Verhalten von Retikulozyten- Subpopulationen mit unterschiedlichem Reifungsgrad sowie deren Hämoglobinisation waren ebenfalls nicht zu verzeichnen Die Daten für den Parameter CHr waren sowohl für das Gesamtkollektiv (n = 180), für Sportler ohne, als auch Probanden mit Eisenmangel (Ferritin < 20 ng/ml bzw. nach den "weicheren" Kriterien nach Kolbe-Busch et al., 2002) normal verteilt. Der CHr lag bei 97,2 % aller Probanden während des gesamten Untersuchungszeitraumes im Referenzbereich des Labors (28-36 pg; Labor 28 AG, Berlin) und wies keine signifikanten linearen Zusammenhänge mit anderen Parametern des Eisenstoffwechsels wie Ferritin, sTfR und TfR-Index auf. Die höchste diagnostische Effizienz (0,67) hinsichtlich eines Eisenmangels (Ferritin < 20 ng/ml) lag bei einem Cut-off für CHr von 32,5 pg (positiver und negativer prädiktiver Wert ebenfalls jeweils bei 0,67).
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Schlagworte: Hochleistungssport Leistungssport Belastung Leistungsdiagnostik Radsport Schwimmen Lauf Anthropometrie Blut Analyse Untersuchungsmethode
Notationen: Biowissenschaften und Sportmedizin Ausdauersportarten
Veröffentlicht in: BISp-Jahrbuch Forschungsförderung 2005/06
Herausgeber: Bundesinstitut für Sportwissenschaft
Veröffentlicht: Bonn 2005
Seiten: 33-38
Dokumentenarten: Buch
Sprache: Deutsch
Level: hoch