2000339

Zum Potential komplexer akustischer Bewegungsinformationen für die Technikansteuerung

Komplexe kinematische und dynamische Bewegungsstrukturen können akustisch dargestellt werden und werden ohne weitere Vorinformation von Sporterfahrenen überzufällig häufig mit der gefragten Bewegung bzw. eng benachbarten Bewegungen in Verbindung gebracht. Die beabsichtigten audio-motorischen Bezüge auf Basis des Modulationsprofils der Klangfolge wurden von über der Hälfte der Probanden hergestellt, ohne daß auf diesen Bezug vorab hingewiesen worden ist. Dazu wurden von der Mehrzahl der Probanden über den Rhythmusbezug hinausgehende akustisch-bewegungsseitige Übertragungen selbständig vorgenommen, die die Auswahl einer zutreffenden Bewegung unterstützt haben und als deutliche Indizien bewertet werden können, daß akustisch auch spezifische Bewegungsqualitäten über geeignete Parameter abgebildet und vermittelt werden können (z.B. spezifische kinematische oder dynamische Bewegungsprofile). Akustisch-bewegungsseitige Bezüge auf Basis von Klangfarbenassoziationen führen hingegen erwartungsgemäß signifikant häufiger zur Nennung unzutreffender Bewegungen, z.T. sogar außerhalb des skizzierten Zielbereichs großmotorischer Alltags- oder Sportbewegungen. Die relationalen Strukturen (Phasenrelationen) konnten bei der akustisch-bewegungsseitigen Zuordnung offenbar genauer für eine Identifizierung entsprechender Bewegungen genutzt werden als die absolute Zyklusdauer: Vier Probanden nannten die Ruderbewegung, bei der allerdings i.d.R. die Frequenzen von Brust- oder Delphinschwimmbewegungen nicht erreicht werden. Diese Tendenz zeigt sich auch bei einer weiteren, akustisch abgebildeten Bewegung, die durch die Probanden identifiziert werden sollte - der Gangbewegung: Hier nannten 8 von 49 Probanden das Gehen, 20 Probanden glaubten hingegen, daß es sich um eine Laufbewegung handele. Die relativ lange Zyklusdauer von 0,62 s kann jedoch auch bei sehr langsamem Laufen nicht annähernd erreicht werden. Daß das Gehör zudem dem Auge bei der Vermittlung von Information zum relativen Timing überlegen ist, belegen u.a. SHEA u.a. (2000) in einem aktuellen Artikel. Neben der Rhythmusinformation können offenbar auch die Modulationsprofile kontinuierlicher Klänge auf motorische Merkmalsverläufe übertragen werden. Wenn von einer ganzheitlichen Technikansteuerung in Verbindung mit dem Einsatz bewegungsdefinierter Klangfolgen gesprochen wird, so sind darunter konkret - neben mehrdimensionalen Rhythmusstrukturen - die dynamisch-kinematischen Profile von Teilbewegungen bzw. Bewegungsphasen zu verstehen. Die relativ häufigen Nennungen von Sprung-, Flug- und Rotationselementen in Verbindung mit der Klangfolge "Rondat-Salto" belegen dies ebenso wie die vier Nennungen "Rudern" zur Klangfolge"Brustschwimmen". Die geringe Identifikationshäufigkeit der Schwimmbewegung durch die Schwimmer überraschte: Der Annahme, daß vermehrt disziplinspezifische Bewegungserfahrung zu genauerem Erkennen der bezogenen Bewegung führt, widersprechen die Ergebnisse zunächst krass. Dennoch hat eine im Rahmen der Untersuchung beabsichtigte Auseinandersetzung mit den Klangstrukturen stattgefunden - und zwar in überraschend präziser und differenzierender Weise. Es kann vermutet werden, daß diese gerade zum Ausschluß der dargestellten - von der Bewegungstechnik des jeweiligen Probanden stark abweichenden - Brustschwimmtechnik geführt hat. Die im Rahmen der audiomotorischen Theorieentwicklung (EFFENBERG 1996, MECHLING/ EFFENBERG 1999) angenommenen komplexen audiomotorischen Bezugsmöglichkeiten konnten mit diesen explorativen Untersuchungen in einem ersten Schritt belegt werden. Auch wird das Konstrukt motorischer Repräsentationen, die direkt Informationen zur kinematisch-dynamischen Koordinationsstruktur von Bewegungsmustern enthalten, über die Untersuchungsergebnisse unterstützt. Allerdings bleibt die Frage ungeklärt, in welcher Form sich Quantität und Qualität von technikspezifischen Bewegungserfahrungen auf die audio-motorische Identifikationsleistung auswirken. Zu diesem Zusammenhang sind weitere Untersuchungen, bei denen z.B. auch individuelle Technikausprägungen akustisch dargestellt werden, erforderlich. Mit den dargestellten Untersuchungen konnte belegt werden, daß über die konventionelle Rhythmusinformation hinausgehende audio- motorische Bezüge direkt von einer Vielzahl von Sporterfahrenen hergestellt werden können. Die Wirksamkeit komplexer akustischer Bewegungsinformation wurde von den Probanden auf hohem Leistungsniveau positiv - und als der einfachen Rhythmusinformation überlegen - eingeschätzt. Damit eröffnet sich ein breiter Bereich der komplexen akustischen Bewegungsansteuerung zumindest für den Bereich zyklischer Bewegungen. Beim praxisorientierten Einsatz komplexer bewegungsdefinierter Akustikinformation wird es zukünftig nicht mehr um das Identifizieren bestimmter Bewegungsformen gehen, da dann Aspekte des motorischen Lernens, der Technikoptimierung und -stabilisierung im Mittelpunkt stehen. Die bezogenen Bewegungsmerkmale und die Art der akustischen Transformation können dann ohnehin vorab offengelegt werden.
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Schlagworte: Biomechanik Akustik Technik Training Schwimmen Bewegungsrhythmus
Notationen: Naturwissenschaften und Technik
Veröffentlicht in: Leistungssport
Veröffentlicht: Philippka Sportverlag 2000
Ausgabe: 30(2000)5, S. 19-25
Jahrgang: 30
Heft: 5
Seiten: 19-25
Dokumentenarten: Artikel
Sprache: Deutsch
Level: hoch